Der Hasenwinkelgrund südlich von Hornburg ist ein kleines Paradies. Hier lebt seit 1774 die Familie Willecke. Das Gasthaus „Willeckes Lust“ ist ein beliebtes Ausflugslokal. Kein Wunder. Starten hier doch unter anderem zwei Wanderrouten ins Nördliche Harzvorland.
Wir nutzen das spätsommerliche Wetter für eine kleine Auszeit vor der Haustür. Bewaffnet mit dem ILE-Freizeitstempel-Pass stehen wir vor „Willeckes Lust“ und halten Ausschau nach dem Weg, der zum Kamm des Kleinen Fallstein hochführt.
Ahh! Da ist ein Wegweiser. Wir durchqueren den Garten der Willeckes und kommen zu einem steilen Pfad, der uns zum Kammweg bringt. Ich bin schon außer Atem, als ich oben ankomme. Aber die Aussicht ist schon jetzt grandios.
Wanderweg Galgenberg – Kleiner Fallstein: Station 23
Wir wenden uns Richtung Südosten und laufen auf dem ebenen Weg durch schönen Laubwald. Stellenweise gibt es schon einen Teppich aus goldfarbenen Blättern. Hopfenpflanzen überranken Bäume und Gebüsch. Wir erkennen die Stauden an den charakteristischen grünen Dolden. Andere Bäume tragen rote Beeren. Kurz: Auch wenn im Herbst nicht das Adonisröschen blüht, ist eine Wanderung am Kleinen Fallstein in dieser Jahreszeit ein buntes Vergnügen.
Plötzlich öffnet sich der Wald. Linkerhand reicht der Blick weit über die Börde mit den zahlreichen Windrädern, rechts sehe ich über das Nördliche Harzvorland bis nach Schladen und zum Brocken. Blickfang am Weg ist hier die 3,60 Meter hohe Skulptur „Sola Fide“ des Braunschweiger Bildhauers Magnus Kleine-Tebbe.
Am Ziel: dem Wachturm Rhoden
Nach wenigen Metern erreichen wir schon die Reste der DDR-Grenzanlagen. Symbolisch sind links und rechts des Wanderweges noch einige Meter Original-Metallgitterzaun erhalten geblieben. An dieser Stelle ist auch ein trockener Rastplatz für Wanderer, die sich Proviant mitgebracht haben.
Weg und Wald ändern sich im Nachbarland Sachsen-Anhalt schlagartig. Schnurgerade führt der typische Kolonnenweg durch einen dichten Birkenwald. Mystisch fallen die Sonnenstrahlen durch die kleinen Blätter, die Bäume bewegen sich unter Knacken im Wind.
Bald erreichen wir den Grenzturm Rhoden. Das acht Meter hohe Bauwerk wurde 1975 errichtet. In diesem Zuge wurde die innerdeutsche Grenze zu einem unüberwindbaren Todesstreifen mit Selbstschussanlagen ausgebaut. In der Nähe entdecke ich auch eine getarnte KFZ-Abstellfläche.
Vor dem Turm, der anscheinend gerade zum wiederholten Mal saniert wird, steht zweierlei:
- eine Tafel mit Informationen über den Grenzturm und das „Grüne Band“
- die Stempelstation 23 „Galgenberg – Kleiner Fallstein“
Ich krame mein Stempelheft heraus und will zur Tat schreiten, doch jemand ist mir zuvorgekommen. Allerdings hat dieser Jemand das Stempelsammeln offenkundig wörtlich genommen: Vom Stempel ist nur noch der Griff vorhanden, der Rest fehlt. Schade!
Wir ärgern uns ein Weilchen über unsere Mitmenschen, die gedankenlos Steuergelder verschwenden. Denn schließlich müssen die Kommunen, in diesem Fall die Stadt Hornburg, auf Kosten der Allgemeinheit neue Stempel beschaffen. Da ist es nur ein kleiner Trost, dass an dieser Stelle der Stempel scheinbar öfter geklaut wird. Denn eifrigen Sammlern wird vorgeschlagen, anstelle des Stempels ein bestimmtes Wort an die vorgesehene Stelle im Stempelheft zu schreiben.
So trete ich undokumentiert den Rückmarsch an. In Wirklichkeit treiben uns an dieser Stelle Hunger und Durst zu „Willeckes Lust“.
Aber da bekanntlich die Arbeit vor dem Vergnügen kommt, berichte ich zuerst von der zweiten Route, die im Hasenwinkelgrund startet: dem Rundwanderweg Ameisen- und Vogelschutzgebiet Probstei-Holz Hornburg mit der Stempelstation 25.
Ameisen- und Vogelschutzgebiet Probstei-Holz Hornburg – Station 25
Der zuerst asphaltierte Weg zweigt gegenüber der Einfahrt zum Hasenwinkelgrund von der Landstraße L87 zwischen Hornburg und Osterwieck ab. Uns zeigt sich ein Bild, das der Bezeichnung „Toskana des Nordens“ mehr als gerecht wird.
Über die Kanal-Ilse geht es zur Landstraße, die nach Bühne führt und von hier aus geradezu einen Wiesenweg den Berg hinauf zum Wald. Im Wald begegnen wir einem Reh, das sich genauso erschreckt wie wir. Die Vögel singen, aber Ameisenhügel entdecken wir leider nicht. Dafür ist die Stempelstation 25 an der Jagdhütte im Wald intakt.
Auf dem Rückweg entlang der Kanal-Ilse genießen wir wieder die Toskana-Ansicht, das Plätschern des Wassers und die in Herbstfarben getauchte Vegetation. Eine schöne Wanderung, auch ohne Ameisen. Schließlich soll man die streng geschützten Insekten sowieso nicht stören.
Ausflugsgaststätte Willeckes Lust
Wie versprochen kommen wir jetzt zum genussvollen Teil: zur Einkehr bei Willeckes Lust. Dies ist übrigens schon seit mehr als 100 Jahren möglich. Frank Willecke hat die Gaststätte von seinen Großeltern übernommen und 2013 wiedereröffnet.
Gemeinsam mit Sarah Willecke lässt er die alten Traditionen fortleben. Und davon gibt es einige bei Willeckes Lust. „1945 wurde hier das erste Spanferkel gegrillt. Und es ist heute immer noch ein Ereignis, wenn wir Spanferkel machen. Dazu gibt es wie in alten Zeiten Sauerkraut, Kräuterkartoffeln, Speck-Zwiebel und hausgebackenes Zwiebelbrot“, erzählt der gelernte Koch.
Generell legen die Willeckes viel Wert auf Selbstgemachtes sowie regionale Produkte und Rezepte. Das Wild kommt aus den angrenzenden Wäldern. Und die Schafe, die hier beispielsweise in Form von Lammbraten auf den Tellern liegen, haben zu Lebtagen an den Hängen des Hasenwinkelgrunds gegrast. Auch Mettwurst, Bratwurst und Leberwurst werden aus Lamm und Wild selbst hergestellt.
Die Streuobstbäume im Tälchen bringen im Laufe des Sommers und des Herbstes Süß- und Sauerkirschen, Birnen, Pflaumen und Äpfel. Sarah Willecke verarbeitet das Obst zu Marmelade, Saft, Wein und natürlich zu Kuchen.
Kuchen nach Omas Art
Die gelernte Konditorin backt gerne mit eigenem Obst und oft nach alten Rezepten. „Hier heißt der Kuchen nicht nur ‚Omas Apfelkuchen’, es ist tatsächlich Omas Apfelkuchen“, schmunzelt Sarah Willecke. Manche der traditionellen Rezepte hat sie allerdings abgewandelt, damit sie nicht so süß und leichter sind.
Dass die Kuchen wirklich gut schmecken – davon überzeugen wir uns selbst. Wir probieren Johannisbeer-Baiser – mein Favorit, mit Johannisbeeren aus Willeckes Garten –, Himbeer-Joghurt, Pflaumenkuchen mit Streuseln und Apfel-Bienenstich.
Die älteren Leser werden sich jetzt vielleicht fragen, was aus einer musikalischen Tradition bei Willeckes Lust geworden ist. Von der Gründung der Gaststätte bis in die 1970er-Jahre spielte Frank Willeckes Urgroßmutter Emma für die Gäste leidenschaftlich Klavier.
Das Klavier wird immer noch gespielt
„Diesen Part hat meine Tante Liesbeth übernommen. Sie ist jetzt fast 100. Wenn sie Lust hat, kommt sie mit dem Auto aus Hornburg und spielt Klavier“, sagt Frank Willecke. Deshalb versteht es sich von selbst, dass das Klavier immer noch im Jagdzimmer steht.
Doch um das Klavier herum hat sich ein bisschen was geändert, als die 4. Generation ans Ruder kam. Efeutapete und Alpenpanorama an den Wänden machten einem schlichten Weiß Platz.
Im Jagdzimmer ist jetzt die Dachkonstruktion aus Holz zu sehen, wie dies im großen Saal schon immer der Fall war. Und die historischen Fenster zwischen Gaststube und Saal sind jetzt weiß statt schwarz.
Am Anfang war ein Güterwaggon
Die Ursprünge von Willeckes Lust liegen eigentlich in einem ausrangierten Güterwaggon. Tatsächlich fuhr früher die Eisenbahn von Hornburg ins Tälchen, um das Obst von den Streuobstwiesen abzutransportieren, die sich von Hornburg bis Osterwieck erstreckten. Frank Willeckes Ururgroßvater kaufte einen der Waggons und verwandelte ihn in eine Imbiss-Stube für Feld- und Landarbeiter. Erst nach und nach wurde das Haus „angebaut“.
Die Blütezeit von Willeckes Lust dürfte vor 1989 gelegen haben, als die Grenze zur DDR etwa 200 Meter hinter dem Biergarten verlief. „Damals kamen bis zu sieben Busse am Tag“, weiß Frank Willecke.
Heute ist die Ruhe wieder eingekehrt im idyllischen Hasenwinkelgrund. Allenfalls an Werktagen wird die Stille kurz unterbrochen durch die Ankunft von Reisebussen. Denn Hornburg und Wöltingerode sind beliebte Ausflugsziele im Nördlichen Harzvorland. Ich jedenfalls habe die Stunden hier genossen und plane wiederzukommen.
Öffnungszeiten:
Samstag, Sonntag und Feiertage ab 11 bis 20 Uhr (im Winter). Im Sommer bleibt geöffnet, bis die letzten Gäste gegangen sind. Gruppen auf Anfrage auch außerhalb der Öffnungszeiten.